Читать книгу "Исторические происшествия в Москве 1812 года во время присутствия в сем городе неприятеля - Иоганн-Амвросий Розенштраух"
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Etwa um halb zwey Uhr Nachmittags, sprengten drey russische Cavalerie-Offiziere, von verschiedener Waffengattung, im gestrecktesten Gallop, von der Twerskoystraße kommend, vor unsern Fenstern vorbey, die aber kaum einige Minuten nacher, eilig zurückflohen; und als Hr. Czermack und ich uns vor die Hausthür wagten, um ihnen nachzusehen, hörten wir sehr deutlich den Schall französischer Trommeln, deren Ton ihm aus Wien, und mir vom Rheine her bekannt war, doch zweifelten wir noch, ob dem so sey? als wir links Grenadiere zu Pferde, von eben daher langsam einziehen sahen, wohin die ersten 3 Offiziere eileten, und bald zurück kehrten; und fast in demselben Augenblicke höreten wir auch von der Seite der Twerskoystraße einen französischen Marsch von Blasinstrumenten gespielt. So voll unsere Gasse bis dahin, von bewaffneten Einwohnern war, so leer ward sie im Nu. Alles warf die Waffen von sich, oder eilte mit denselben ins Haus, so daß in der ganzen Gasse, nur Hr. Czermack und ich allein dastanden.
Bey dem gänzlichen Mangel aller Nachrichten vom Kriegsschauplatze, bey den öftern Siegeskunden über die Feinde, konnte wohl schwerlich jemand nur ahnen, Napoleon in Moskau zu sehen; am allerwenigsten aber, daß dieses so bald geschehen würde, da man ihn und seine Armee sich noch an der russischen Gränze dachte. Wie Hr. Cz. und ich so an unserer Hausthüre standen, und keiner wagte, dem Andern mitzutheilen, daß er den Einzug der Franzosen, für gewiß hielt; mußten wir beyde, auf ein Geräusch in der Luft, aufmerksam werden, welches uns aus unserm Nachdenken aufweckte. Wir blickten in die Höhe, und sahen eine ungewöhnlich fast Baumähnliche Raquette, zu den Wolken dringend. Unwillkürlich entfuhren mir die Worte: „Das ist Groß“! Und erst als ich diese Worte gesprochen hatte, ward es mir in der Seele klar, was ich damit sagen wollte. Herr Czermack deutete meinen Ausruf, auf die Größe der Raquette, und sagte: Ja, eine so große Raquette habe ich selbst in Wien, bei den schönsten Feuerwerken nie gesehen. Ich erwiederte: Nein, das meyne ich nicht, ich finde die Idee groß: daß Moskau verbrannt werden soll. Ich betheure es bey Gott, daß ich diesen Gedanken nie nur entfernt gedacht habe, und wenn ich mir ja die Möglichkeit vorstellte, daß die Franzosen bis nach Moskau kommen könnten – obwohl ich mich auch dessen kaum erinnere, und gewiß meinem vertrautesten Freunde nicht mitgetheilt haben würde; so konnte ich mir im schlimmsten Falle dennoch höchstens eine große Contribution vorstellen, aber weder Brand, noch Plünderung denken, sondern alles so, wie es bei ihrem Einzuge in andre Residenzen geschehen war. Daher ist es mir noch bis zum heutigen Tage unbegreiflich warum der Anblick dieser Raquette – welche allerdings ein Signal seyn mußte, das weithin gesehen werden sollte – in mir den nie gehabten Gedanken hervorbrachte, und mir in diesen Augenblick sogleich alle guten Folgen vorschwebeten, die für Rußland aus dem Brande Moskaus entstehen werden. Nach 23 Jahren, in welcher Zeit ich mich vielfach geprüfet, mehreremal mein Gedächtnis, gleichsam auf die Folter gespannt habe, um irgend etwas aufzufinden, wodurch ich meinen damaligen Ausruf, und alles was sich plötzlich, aber sehr lebhaft, bey diesem Gedanken mir aufdrängete, und meiner Seele vorschwebete, in einem Zusammenhange mit dem Anblick der Raquette zu bringen, aber immer vergeblich, und ich muß die Lösung dieses Räthsels, auf die Zeit meines Eingangs in die Ewigkeit, verschieben. Nun füllte sich unsere kleine Straße mit französischen Infanteristen, welche sehr höflich naheten, und um etwas Brodt baten, welches sie nach ihrer Aussage seit 3 Tagen, nicht gesehen, noch weniger genossen hatten. Madame Czermack, welche gut französisch sprach, und auch in Wien in Häusern wohnte, welche Franzosen in ihrer Wohnung aufnehmen mußten, lud die Soldaten, die uns umgaben, ein, näher ins Haus zu kommen, und es traten acht Personen ein, so wie die übrigen sich in andere Häuser vertheileten. Jetzt zeigten sich die in unserer Gasse wohnenden Huren, und thaten mit diesen fremden Gästen so vertraut, als ob sie mit ihnen von jeher befreundet gewesen wären, obgleich sie mit ihnen nicht sprechen konnten. Die ganze Gasse war plötzlich so belebt, daß es schien, als ob es immer so gewesen wäre. Alles dieses geschah in minder als einer Stunde. Jetzt erscholl auf einmal der Ruf: Feuer, Feuer, welches man auch alsbald sehen konnte. Es kletterten mehrere auf hohe Häuser, und sagten, daß es in der Fischstraße brenne. Da diese ziemlich weit von unserer Gasse war, so nahmen wir, Hr. Cz. und ich weiter keinen Theil daran, und bewirtheten unsere Soldaten mit allem was wir hatten; in der Meynung, am andern Tage, wieder neue Vorräthe kaufen zu können; denn wir dachten „Wenn auch 100000 Mann in Moskau eingezogen wären, doch Alle in Moskau unterkommen, und satt werden könnten, da wir allein in unserm Häusgen deren 8 gespeiset hatten[“]. Wir irreten uns aber; denn kaum hatten uns die 8 Soldaten zufrieden und dankend verlassen, als wieder Andre, und wieder Andre kamen, und dasselbe foderten. So lange es jedoch noch Tag war, ging es erträglich; denn zwey Offiziere, und ein Unteroffizier, waren in dieser Zeit zu uns ins Zimmer gekommen, und jedesmal befragten sie die anwesenden Soldaten: Ob sie sich auch dem Befehle des Kaisers N. gemäß gut und bescheiden betragen? Uns aber foderten sie auf, daß wir bey der mindesten Unzufriedenheit, sogleich in der ganz in der Nähe, auf der Twerskoy befindlichen Wachtstube Hülfe suchen sollten, damit die Unartigen – dieses war der bezeichnende Ausdruck – exemplarisch bestraft werden könnten. Unsere letzten Vorräthe, waren bis 10 Uhr des Abends völlig erschöpft, und in dem Maasse, mehrten sich nun Eindringende, die schon nicht mehr Bittende, sondern gebieterisch fodernde Soldaten waren. Wir gaben ihnen Geld, und suchten ihnen begreiflich zu machen, daß es nicht an unserm guten Willen, sondern an dem Mangel aller Vorräthe liege, die wir in der Nacht auf keine Weise ergänzen konnten. Wir stellten ihnen vor, daß wir seit 8 Stunden so Viele gespeiset hatten, und sie leicht einsehen könnten, daß in einem so kleinen Häusgen keine große Vorräthe seyn konnten. Es ging hart her, doch droheten sie nur uns zu mißhandeln, ohne einen von uns persönlich anzurühren. Die letzten 4 Soldaten nahmen Geld, und Sachen die ihnen gefielen; schwuren aber, uns umzubringen, wenn sie nicht zum Frühstück Ommlets, und Schinken erhielten. Wir versprachen ihnen dieses auf das Gewisseste, in der Meynung, mit Tagesanbruch das Benöthigte kaufen zu können. Gegen Morgen, als es noch dämmerte, ward Generalmarsch geschlagen, und unsere Gäste, die uns nun verlassen mußten, fluchten und schwuren, das keiner von uns am Leben bleiben sollte, wenn nicht bey ihrer Rückkunft der Tisch gedeckt, und alles von ihnen Verlangte im Ueberfluß vorhanden seyn würde. Wir hatten die ganze Nacht keinen Augenblick ruhen können, viel Angst, und Mühe gehabt, besonders ich, der ich in zwey russischen Familien, deren Eine über uns, und die Zweyte im anstoßenden Hause wohnte, der Mißhandlung und der Plünderung mit Gottes Beystand steuern konnte, und einen russischen Protopop, der sich in unser Zimmer geflüchtet hatte, und den die bey uns seyenden Soldaten auf alle Weise zu kränken suchten, zu schützen vermochte; wozu ich nächst dem Vertrauen auf Gottes Beystand, durch die Mahnungen jener Offiziere, welche uns sagten, daß wir in der Hauptwache Hülfe gegen Mißhandlungen finden würden; war so muthig geworden, nichts zu fürchten, weil ich meynte, ich dürfte nur nach der Twerskoy eilen, um sogleich Hülfe zu finden. Ich brachte den alten Protopop endlich zur Ruhe, sobald die Soldaten uns verlassen hatten, und schlug Hr. und Mad. Czermack vor, Thüren u. Fenster zu öffnen, um die Zimmer von der üblen Luft zu reinigen, die sich in dieser Nacht durch die vielen, vom Marsch kommenden Soldaten gesammelt hatte; Wir traten vor die Hausthüre und hatten noch nicht lange da gestanden, als eine starke Kavallerie Kolonne mit einem Staabsoffizier an der Spitze vorüberzog. Madame Czermack redete den Anführer an, klagte, daß wir diese Nacht über so viel hätten leiden müssen, da wir doch gestern eine dreymalige Versicherung hörten, daß es nicht des Kaisers Napoleons Wille sey, daß die Einwohner mißhandelt werden sollen, und den Uebertretern, mit harter Strafe gedrohet ward. Mit einem sehr freundlichen Gesicht, u. mit französischer Höflichkeit, rief ihr der Staabsoffizier zu: Madame, es sind gestern 80000 französische Kinder in diese Stadt eingezogen, und da werden Sie leicht einsehen, daß unter so Vielen, sich auch unartige Kinder befinden müssen. Trösten Sie sich, das bringet der Krieg so mit sich. Er warf ihr noch eine Kußhand zu und ritt vorüber. Nun blickten wir auf die ihm folgenden Reiter, welche bis zum Kopfe, mit allerley Sachen, Kleider, Bündel, Decken, Teppiche, etc. gleichsam eingepackt waren; und wir konnten daraus schließen, daß es in den Häusern, wo diese französische Kinder übernachtet hatten, noch viel ärger, als bey uns zugegangen seyn müsse. Dieses bewies uns die Nothwendigkeit desto ämsiger, für das Frühstück besorgt zu seyn, welches die uns verlassenen Soldaten unter so viele schreckliche Drohungen bestellet hatten. Darum schickten wir aus, Speisen zu kaufen, konnten aber nirgend etwas selbst für zehnfache Bezahlung erhalten. Dieses machte uns nicht wenig Kummer, welcher dadurch auf das höchste stieg, als derselbe Herr Knauf, der uns am Sonntage in seinem Hause nicht aufnehmen wollte, fast nackend mit seiner Frau zu uns kamen, und baten, wir möchten ihnen erlauben, nur einen Augenblick bey uns eintreten zu dürfen, da sie in der verflossenen Nacht, rein ausgeplündert worden, wozu ihre Fabrique arbeiter das Meiste dazu beygetragen hatten. Sie hatten ihr ganzes ansehnliches Vermögen verloren, und waren mit einigen nur alten Lumpen umhüllet. Hr. und Madame Czermack nahmen sie mitleidsvoll und sehr freundlich auf, und geleiteten sie ins Zimmer. Ich blieb noch draussen, um über die gnadenreiche Fügung Gottes nachzudenken, welche Knaufs Herz so verhärtet hatte, unsern Bitten zu widerstehen, ohnerachtet er früher mit Hr. Czermack befreundet, und auch mit mir bekannt war. Wie ich so da stand, trat ein wohlgekleideter französischer Proviantcommissair zu mir, und bat mich, ihm ein Hemd zu verschaffen, weil er von Ungeziefer hart geplagt wäre. Ich sagte ihm, daß ich hier nicht wohne, dem Wirthe des Hauses fast alle seine Hemden abgenommen wären; daß ich aber erst Sonntag Morgen zwey weiße Hemden angezogen hatte, von denen ich ihm das Obere, Beste gern geben wollte; wenn es ihm keinen Ekel verursachte, daß ich es schon zwey Tage getragen habe. Er dankte mir, und da ich ihn einlud ins Zimmer zu treten, bat er mich, mit ihm in das offenstehende Appartement auf dem Hofe zu gehen, und ihm dort mein Hemde zu geben. Ich that dieses, und wartete auf ihn, um ihn nachher ins Zimmer geleiten zu können. Als er zu mir kam, dankte er mir mit einer Umarmung, und wollte mir eine russische Banknote von 100 Rubel geben, mit der Versicherung, daß dieses noch zu wenig sey für das Vergnügen, welches er empfände, sein altes Hemd in den Abtritt werfen und ein reines auf seinem Leibe anziehen zu können. Ich nahm durchaus das Geld nicht an, und bezeugte ihm meine Freude, ihm mit etwas dienen zu können, was mir die verflossene Nacht, unter Mißhandlungen, mit Gewalt hätte abgenommen werden, und auch mein Leben zu gefährden vermocht hätte. Nun trat er ins Zimmer und da er hörte daß wir alle Deutsch sprachen, sagte er: Ich bin auch ein Deutscher. Vermuthlich mußte er mich für einen Russen gehalten haben; weil er mit mir französisch sprach; denn an meinem Sprechen konnte er wohl merken, daß ich mit dem Französischen sehr wenig bekannt war. Unsere Angst stieg mit jedem Augenblick, in dem wir unsere fluchenden Soldaten erwarten konnten; und da dieses der Commissair bemerkte, fragte er nach der Ursache unserer Aengstlichkeit. Es ward ihm mitgetheilt; daß wir die Rückkunft der Soldaten fürchteten; worauf er Kreide foderte, und hinausging, ohne daß wir wußten was er dort gethan hatte. Kurz darauf kamen dann auch die Soldaten, und als sie bey ihrem Eintritt den Tisch noch nicht gedeckt fanden, fluchten sie fürchterlich, und es würde uns gewiß übel gegangen seyn, wenn Gott nicht diesen Obercommissair – dessen Namen ich leider vergessen habe – für uns zu einem Engel der Rettung herbeygeführet hätte. Die Soldaten bemerkten ihn bey ihrem Eintritt nicht, da ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Tisch gerichtet war. Nun erhob er sich, und fragte in einem sehr strengen Ton, von welchem Regiment sie wären? – da sie Feldmäntel anhatten – auf die Erwiederung: Was dieses ihm anginge? antwortete er: Damit ich euch belangen kann, daß ihr es wagt, auf so unverschämte Weise, in mein Quartier einzudringen. Nun fragte er sie „ob sie nicht an der Thüre gelesen hätten, daß dieses das Quartier des Obercommissairs NN sey?[“] So grob die Soldaten früher waren, so höflich bewiesen sie sich jetzt gegen den Commissair, sie baten um Verzeihung, entschuldigten sich mit ihrer Unwissenheit, und verließen uns mit wüthenden Blicken, über die getäuschte Erwartung, ihre leere Magen füllen zu können. Kinderchens, sprach der Commissair, ich bleibe bey Euch; denn es stehen Euch noch größere Gefahren bevor; und dieser gute Mann, ward Augenscheinlich noch in der darauf folgenden Nacht – durch Gottes Fügung – der Retter der Czermackischen, und noch einer russischen, in demselben Hause, wohnenden Familie, wie ich später erzählen werde.
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